Donnerstag, 21. Juni 2012

Cocktailklassiker (1): Sidecar

Der Zusammenhang zwischen Schrifstellertum, Literatur und Alkohol ist, zumindest in bestimmten Epochen und Orten der Geschichte, unübersehbar. Aber das macht ja auch Sinn, wenn man über Menschen schreibt. Menschen trinken eben. Wenn ich Bücher schreiben würde, wären es auch Bücher über Menschen und über Alkohol. Über Menschen, über Trinken und über den Tod. (Ich bin ja noch jung. Wenn man noch jung ist, will man sicher immer Bücher über Sachen schreiben, von denen man nichts versteht.)

Insbesondere sind die amerikanischen Schriftsteller der 20er Jahre als auch die Protagonisten ihrer Romane für ihre Alkoholexzesse bekannt. Wer schon mal was von Hemingway oder Fitzgerald gelesen hat, weiß, dass hier kaum eine Seite vergeht, ohne dass eine große Anzahl an Mint Juleps, Gin Tonics und Mojitos getrunken wird.
Aber auch in Deutschland, zur selben Zeit und ein bisschen später, wurde in Schriftstellerkreisen getrunken, was das Zeug hält: Bekannte Alkoholiker, die gleichzeitig Schriftsteller der Neuen Sachlichkeit waren, sind zum Beispiel Hans Fallada (selber Alkoholiker, siehe auch sein Roman "Der Trinker" von 1944/1950), Irmgard Keun (sechs Jahre Psychiatrie wegen Alkoholismus) oder ihr zeitweiliger Geliebter Joseph Roth (seit dem 1. Weltkrieg Alkoholiker).

So, genug Faktenwissen. In seinem Buch über Literatur und Alkohol in Amerika "'The Giant Killer': Drink and the American Writer" (1976) schreibt Alfred Kazin: "there are periods and occasions when drinking is in the air, even seems to be a moral necessity". Alkohol als moralische Notwendigkeit - das ist ein Gesetz, das auch in meiner Küche gilt. (Quatsch, nur Spaß!)
Aus kulturhistorischer Perspektive ist dieser Zusammenhang  wahrscheinlich eher ausgelutscht, zumindest in Bezug auf die Roaring Twenties in Amerika. Das macht mir aber nichts, denn die Forschungsergebnisse, an denen ich interessiert bin, sind eher praktischer Natur. Meine Forschungsfrage heißt: Finde ich die Drinks aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts genauso gut wie die Romane?*

Mit dieser empirischen Studie zu Qualiät von Cocktail-Klassikern hab ich jedenfalls schon vor ein paar Jahren angefangen, nachdem ich "Schatten im Paradies" von Remarque gelesen hatte. Der Cocktail der Wahl - ein leichter Sommerdrink! - heißt hier Moscow Mule und besteht aus Wodka, Ginger Beer und Limettensaft.

Wir gingen in den kleinen Raum des Morocco, nicht in den großen mit der Sternendecke und den Zebrasofas. Im kleinen spielte Karl Inwald Wiener Lieder.
"Was möchten Sie haben?" fragte ich.
"Einen Moscow Mule."
"Was ist denn das?"
"Ein Moskauer Maulesel. Wodka, Ingwer-Bier und Lime-Saft. Sehr erfrischend."
"Das werde ich auch versuchen."
Natascha zog ihre Füße auf das Sofa. Sie ließ ihre Schuhe auf dem Boden stehen. "Ich bin nicht sehr für Sport", sagte sie. "Nicht wie die Amerikaner. Ich kann weder reiten noch schwimmen noch Tennis spielen. Ich bin eine Sofahockerin und eine Schwätzerin."
"Was sind Sie noch?"
"Sentimental und romantisch und unausstehlich. Billige Romantik finde ich unwiderstehlich. Je billiger, um so besser. Wie schmeckt der Moscow Mule?"
"Wunderbar."
"Und die Wiener Lieder?"
"Auch wunderbar."
"Gut." Sie lehnte sich zufrieden in ihre Sofaecke zurück. "Manchmal ist es absolut nötig, sich von einer Riesenwoge Sentimentalität überfluten zu lassen, in der alle Vorsicht und aller guter Geschmack glorios untergehen. Später kann man sich dann trocken schütteln und sich auslachen. Wollen wir?"


Seufz, Natascha! Ich wünschte, wir wären uns begegnet.


Heute setze ich die Studie fort, und zwar mit einem, vorsichtig ausgedrückt, absoluten Highlight: Dem Sidecar. Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass der Sidecar einer der besten oder sogar der beste Drink ist, den ich jemals getrunken habe. Und das aus mehreren Gründen: Man braucht nicht viele Zutaten. Gut, die, die man braucht, sind nicht die billigsten - Cognac, Cointreau und Zitronensaft. Aber ich kann versichern, dass es sich lohnt und man hier nicht an der falschen Stelle investiert. Bei diesem Cocktail ist das Ergebnis definitiv mehr als die Summe der einzelnen Teile. Der Sidecar schmeckt großartig fruchtig, mild, kaum nach Alkohol und trinkt sich so gut, dass man nach nur einem unmöglich Schluss machen kann. Den Sidecar habe ich bereits in meinem Standardrepertoire aufgenommen. Nachdem ich diesen Drink probiert habe, konstatiere ich mit gutem Gewissen: Die Testreihe hat sich bereits gelohnt.

Auch der Sidecar wird bei Remarque erwähnt, und zwar in "Drei Kameraden" (der wahrscheinlich schönste Remarque):

Wir tranken ein paar Glas. Ich nur Sidecars, mit viel Zitrone. Ich wollte nicht wieder von mir selbst überrumpelt werden.
Gottfried war glänzend aufgelegt.
"Ich war eben bei dir", sagte er. "Wollte dich abholen. Hinterher war ich auf dem Rummelplatz. Da ist ein großartiges neues Karussell. Wollen wir mal hin?" Er sah Patrice Hollmann an.
"Sofort!" erwiderte sie. "Ich liebe Karussells über alles!" "Dann wollen wir gleich aufbrechen", sagte ich. Ich war froh, daß wir 'rauskamen. Im Freien war die Sache einfacher.



























Ich empfehle, ihn nach der englischen Schule zuzubereiten und, wenn man nicht allzu puristisch ist, gern auch als Sidecar Up: die englische Schule sieht die doppelte Menge Cognac vor, "Sidecar Up" bezeichnet den Zuckerrand.


English Sidecar Up  

Zutaten (für 2)
  • 2 Teile Cognac (100 ml)
  • 1 Teil Cointreau (50 ml)
  • 1 Teil Zitronensaft (50 ml)
  • etwas zusätzlicher Zitronensaft
  • etwas Zucker
  • Eiswürfel

Zubereitung

In zwei Untertassen etwas Zitronensaft bzw. etwas Zucker füllen. Den Rand eines Cocktailglases zuerst in den Zitronensaft, dann in den Zucker tauchen.
Cognac, Cointreau, Zitronensaft zusammen mit einigen Eiswürfeln in einen Shaker geben und schütteln. Ohne die Eiswürfel ins Glas abgießen.




*In diesem Zusammenhang dache ich auch schon darüber nach, eine kleine Cocktailparty zu veranstalten. Nicht nur, weil ich gern mit Freunden Whiskey Sour trinke, sondern auch, weil das ein guter Grund wäre, ein Cocktailkleid zu kaufen. Wikipedia empfiehlt: "Im Regelfall tragen die Herren, da die Party sich an die Arbeitszeit anschließt, noch die normale Tageskleidung (Büroanzug). Entsprechendes gilt mittlerweile auch für die berufstätigen Damen. Bei besonders feierlichen oder offiziellen Cocktailpartys ist für Herren ein dunkler Anzug angemessen. Damen tragen ein Cocktailkleid." Die Party bei mir wäre natürlich feierlicher und offizieller Natur, wobei, Achtung: die Mindestverweildauer von 20 Minuten nicht unterschritten werden sollte. Zeit genug für zwei Martinis!
Aber auch so scheint mir eine Cocktailparty ein absolut sinnvolles Ereignis zu sein. Zitat Wikipedia: "Eine Cocktailparty ist eine Form eines Stehempfangs. [...] Der Name ist abgeleitet von den servierten Cocktails [...]. Dazu gibt es in jedem Fall kleine Appetithäppchen. Die Gäste unterhalten sich im Stehen (Smalltalk), die Musik ist eher leise und dezent und keine Tanzmusik." Wär das nicht super, ein kleiner Stehempfang mit Smalltalk, Fahrstuhlmusik und Appetithäppchen in meiner Wohnung!? Ich sehe es vor mir; und was ich sehe, ist glamourös.

1 Kommentar:

  1. Ein Vertreter der Gegenwartsliteratur hat auch eine interessante These zum Thema Sidecar, nämlich Jeffrey Eugenides in The Marriage Plot (S. 88):

    Next Thurston got nostalgic about something called a sidecar, which he used to have on skiing trips with his father. ... The bartender didn't know how to make a sidecar. Thurston had to instruct him, grandly announcing, "The sidecar is the perfect winter drink. Brandy to warm the innards, and citrus to ward off colds."
    "It isn't winter," Madeleine said.
    "Let's pretend it is."

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